Über Epheser 2,11–24 – Dr. Bernd Krebs

Dr. Bernd Krebs

9. Juni 2024 im Bethlehemskirchsaal

Viele Berliner Kirchengemeinden teilen ihre Kirch- und Gemeinderäume heute mit Christen aus anderen Ländern, auch unsere Gemeinde. Doch wie viel Anteil nehmen wir, die „Einheimischen“ am Leben unserer Schwestern und Brüder? Was wissen wir tatsächlich von ihnen? Was wissen wir z.B. über ihr Leben, bevor sie nach Deutschland kamen, über Bedrängung und Verfolgung, über die wirtschaftliche Not und die Diskriminierung in ihren Heimatländern? Was wissen wir von ihren Hoffnungen und dem Bild, das sie sich machten, als sie in unsere Stadt/unser Land kamen?  Und was von ihren Enttäuschungen?

Die kleine Iranisch-presbyterianische Gemeinde leistet viel, um die Hilfe- und Ratsuchenden spirituell aufzufangen, ihnen eine neue geistliche Heimat anzubieten. Jeder kann sich vorstellen, dass es dazu einer Atmosphäre des Vertrauens bedarf. Hier liegt ein Grund dafür, dass die Gemeinde eher „im Stillen“ arbeitet, d.h. auf spektakuläre Aktionen verzichtet und auch nicht an einer Medienöffentlichkeit interessiert ist. Doch das ist, so meine ich, kein Grund, nicht den persönlichen Kontakt zu suchen!

Zumal die Mitglieder der Iranisch-presbyterianischen Gemeinde nicht nur im buchstäblichen Sinne des Wortes „Hausgenossen“ für uns sind, weil wir zusammen mit ihnen dieselben Räume nutzen und also zeitweise unter demselben Dach „leben“. Für sie wie für uns gilt vielmehr gleichermaßen, was der Apostel hier so umschreibt: wir sind um Christi willen „Mitbürger“ und „Gottes Hausgenossen“, denn Christus hat uns mit Gott versöhnt und so haben „wir alle beide in einem Geist den Zugang zu dem Vater“. Wer aber auf solche Weise mit Anderen verbunden ist, wird auch Anteil nehmen an den Ängsten und Enttäuschungen, an der Freude und den Erfolgen des/der Anderen.

Selbst in den ersten christlichen Gemeinden mangelte es oft an der gebotenen Anteilnahme. Das belegt dieser Ausschnitt aus dem Epheserbrief. Damals ging es um die kleine Gruppe der Judenchristen, d.h. um diejenigen Gemeindeglieder, die sich aus dem Judentum gelöst hatten, aber in den Gemeinden zunehmend an den Rand abgedrängt worden waren, denn in den Gemeinden hatten die Heidenchristen das „Ruder“ übernommen, nach der Katastrophe des Jahres 70, der Zerstörung des Tempels durch die Römer und der einsetzenden Vertreibung der Juden in alle Ecken des Römischen Reiches.

Der Verfasser des Epheserbriefes mahnt die „Mehrheitsgruppe“, die „Minderheit“ der Judenchristen als gleichwertige „Mitbürger“ und „Hausgenossen“ zu behandeln. Denn sie erinnern die gesamte Gemeinde daran, dass Gott Israel und nicht die Heiden-Völker erwählt hat, um sein Heil in der Welt zu verwirklichen. Darum verdienen die Judenchristen alle Liebe und Achtung der heidenchristlichen Mehrheit – deren Leben ohne jede Hoffnung, ja „ohne Gott“ geblieben wäre, hätte Jesus ihnen nicht den Zugang zum Vater eröffnet. Oder um es in allgemeiner Weise zu sagen: das Christentum vertraut dem Gott Israels, dem einen Gott und seinem heilenden Handeln. Wer dies vergisst oder leugnet, zerstört das Fundament, auf dem der Glaube gründet.

Die christliche Gemeinde ist aber nicht „Israel“, erst recht nicht das „neue Gottesvolk“, das an die Stelle „Israels“  getreten ist - wie die Kirchen über Jahrhunderte behaupteten. Die christliche Gemeinde ist vielmehr ein „anderer Typus“ der Gemeinschaft mit Gott - eine Gemeinschaft, in der Menschen aus allen Völkern der Zugang zum „Vater“, zum Gott Israels eröffnet wird. Darin liegt ihre universelle Bedeutung. Heute versammeln sich in unserer Stadt an unzähligen Orten Gemeinden aus fast aller „Welt“, jeweils in ihrer Sprache und  in ihrer  geistlichen Tradition und beten Jesus Christus als den Herrn an, loben und preisen ihn, hören auf sein Wort, und laden Menschen ein, diesen Dienst, diese  „Sendung“, die „Missio“ mit ihnen zu teilen und Hilfesuchenden Rat und Ermutigung zu geben und die vielfältigen Gaben miteinander zu teilen.

Darin widerspiegelt sich Gottes Heilsplan für die ganze Welt: dass nämlich alle Feindschaft und Trennung aufgehoben werden soll.
Zunächst in den Gemeinden, wo immer wieder die Versuchung besteht, Zäune zu errichten, zwischen Alt und Jung, oder zwischen Männer und Frauen, oder entlang der sozialen oder bildungsmäßigen Trennlinien, die es in jeder Gemeinde gibt und die oft einen viel nachhaltigeren Einfluss auf das „Innenleben“ von Gemeinden ausüben, als wir uns das eingestehen wollen.

Der Zaun ist aber auch zwischen den Gemeinden niedergerissen – denn Christus hat allen, die an ihn glauben und sich zu ihm bekennen, den „Zugang zum Vater“ geöffnet, unabhängig davon, in welcher Sprache und in welcher Liturgie sie Gott anrufen und seinem Wort zu folgen versuchen.

Unsere „Kiez-Ökumene“ ist dafür seit langem ein ermutigendes, belebendes Beispiel. Ob in der gerade laufenden Veranstaltungsreihe über die böhmische Reformation, bei den geplanten „Wandergottesdiensten“ mit Psalmensingen, beim Kanzeltausch im Juli und August oder beim gemeinsamen Sommerprogramm für Familien in der Dorfkirche am Richardplatz.Wir sollten uns immer wieder in Erinnerung rufen, welch ein großes Geschenk dieses ökumenische Miteinander ist. Es ist ja noch gar nicht so lange her, dass die Trennung, ja das Gegeneinander-Arbeiten der christlichen Konfessionen viele Menschen dazu veranlasste, sich von den Kirchen abzuwenden!

Ein letzter Gedankengang: Im Bild von dem trennenden „Zaun“, der in Christus niedergerissen ist, erkenne ich auch eine Herausforderung an uns als Gemeinde.Wie offen sind wir für „Zaungäste“, wie offen sind wir für die Suchenden, für die, die nicht volkskirchlich aufgewachsen sind? Wie offen sind wir gegenüber denen, die auf ihrem Lebensweg bisher „mit Kirche nichts zu tun“ gehabt haben?

Wer sich an an unseren Zaun an der Richardstraße stellt und die Menschen beobachtet, die hier entlang gehen, wer durch die umliegenden Straßen geht und die jungen Familien auf dem Weg zur Kita, zur Schule, zum Spielplatz wahrnimmt, muss sich doch fragen: Haben wir diesen Menschen nichts zu bieten?

Gewiss: Der „Glaube“ ist „Privatsache“. Die Zeiten, da die Zugehörigkeit zur „Kirche“ die Folge sozialen Druckes war, sind vergangen. Doch die Botschaft von dem Gott, der sich in Christus allen Menschen zugewandt hat, ist kein „Privatbesitz“, verschlossen in einem Tresor, der „allein mir“ gehört und für den nur ich die Zahlenkombination kenne.

Die Botschaft Jesu gilt allen und ist für alle bestimmt. Was daraus für unsere Gemeinde folgt, ihre Präsenz im Kiez, ihre „Außen-Wirkung, müssen wir immer von Neuem klären. Nicht nur in den Kontakten mit den Pfarrerinnen oder Pfarrern, die in den nächsten Monaten – so hoffen wir – mit uns das Gespräch suchen und dann zusammen mit uns ihren Weg hier fortsetzen werden.