Über I. Mose 1,1–24

Steffen Tuschling

3. März 2024

Die Gnade …
Predigttext: Im Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde .… [nach Buber/Rosenzweig]

Liebe Gemeinde!
„Am Anfang: Gott. Kein Himmel, keine Erde, kein Gar-Nichts.“ Mit diesen Worten beginnt Duke Ellington sein Concert of sacred music. „In the beginning: God.“ Ein furioses Eröffnungsstück.

Ganz vorne im Ersten Buch Mose erzählt die Bibel vom Anfang. Ein Kapitel lang erzählt sie von allem Anfang an. Als noch nichts war. Nur Gottes Geist schwebte über dem Wasser. Ein furioses Eröffnungsstück.

Genesis, Entstehung heißt das erste Buch der Bibel auf Griechisch. Bereshit, im Anfang, heißt es in seiner Originalsprache, auf Hebräisch. Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Und die Erde war wüst und leer, und Finsternis lag auf der Tiefe, übersetzt Luther. Was für ein Anfang! Tohuwabohu war da, schreibt der originale Text: Irrsal und Wirrsal, so verdeutscht das Martin Buber.

Nach und nach wird Gott dieses Chaos ordnen. Und zwar, indem er je etwas sagt. Und was er sagt, geschieht: Und Gott sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht. Und Gott sah, dass das Licht gut war. Gottes Worte bringen etwas Gutes hervor. Eine gute Welt. Atemlos lesen wir davon ein Kapitel lang, geordnet wie die Tage einer Woche. Deutung und Naturwissenschaft von vor dreitausend Jahren. Heute naturwissenschaftlich gesehen überholt. Und doch eines der berühmtesten Kapitel der Weltliteratur. Heute so aktuell wie vor 3000 Jahren.

Nicht in seiner Naturwissenschaft, sondern in seiner Deutung – diese Welt ist nicht irgendwas. Kein sinnloser Zufall und auch kein Verbrauchsgut. Sondern überaus wertvoll. Gottes Schöpfung! Und Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut.

Heute sehen wir aktueller als je zuvor die Stärke der biblischen Schöpfungserzählung. Heute, wo wir die Grenzen bemerken. Das Sakrileg, das der Mensch begeht, indem er die Welt einfach nur verbraucht. Die Artenvielfalt. Die Luft. Das Wasser. Das Klima.

Als sich die Naturwissenschaft im 19. Jahrhundert daran machte, die Entstehung der Welt neu zu erklären, aus den Kenntnissen der Archäologie und der Biologie heraus, als angesichts der Jahrmillionen und Milliarden, die sich auftaten, die 6 Tage nicht mehr haltbar waren … Da waren es vor allem die Naturwissenschaftler aus dem 2. Glied, die die Schöpfungsgeschichte hämisch verlachten. Wirklich Große, wie Darwin, wussten um das, was sie nicht wussten.

Aber die anderen, mit denen man es dann hierzulande viel zu tun hatte, „Weltall, Erde, Mensch“, haha, in 6 Tagen das Universum geschaffen, haha, ein Ammenmärchen, haha … Und eben dieselben Fortschrittsfreunde machten sich daran, diese Erde von nun an erst richtig zu verbrauchen, alle Bodenschätze, alle Luft, alles Wasser waren ja sozusagen unlimitierte Güter. Haha, sagt die Biblische Urgeschichte, die vor allem erzählen wollte, welchen Wert die Welt hat … Haha, sagt sie heute zu diesen Simpeln. Bloß bleibt das Lachen uns heute im Halse stecken, so weit ist es mit unserer Erde gekommen. Unserem Wasser. Unserem Klima. Unseren Genen. Gottes Schöpfung.

Ich möchte heute mit Ihnen auf drei Aspekte genauer eingehen, denn alles zu schaffen, dafür ist das Kapitel zu reich.

Erstens: auf den Rhythmus und die Ordnung.
Wir werden Zeugen eines Rhythmus von Tag und Nacht. Von Tagen einer Woche. Dieser erste Schöpfungsbericht führt uns eindrucksvoll die Struktur der Schöpfung vor. Nichts ist bedeutender als das andere. Und erst alle gemeinsam ergeben das Ganze: Chaos und Ordnung. Licht und Finsternis, Tag und Nacht (1), Feste und Wasser – Himmel und Erde (2), Erde und Meer (3), die Sonne und der Mond und die Sterne (4), Urbild und Abbild, nämlich Gott und Mensch, Mann und Frau (6), sowie Werktage und Ruhetag. Wir sehen Komplimentäres, das nur im Aufeinander-Bezogensein ein Ganzes wird. Diese Ordnung bezeichnet Gott als "sehr gut".

Dieser Schöpfungsbericht kann für uns lebenspraktische Bedeutung gewinnen. An ihm kann sich unsere Lebens- und Glaubenspraxis orientieren: Beides gehört zum Leben, und zwar gleichgewichtig und gleichbedeutend: Arbeiten und Ruhen, Aktion und Kontemplation, Diakonie und Gottesdienst, das Nützliche und das zweckfreie Schöne – die Ethik und die Ästhetik. Wo das eine verabsolutiert oder geringgeschätzt wird, gerät das Ganze aus dem Gleichgewicht. Auch unser Menschsein. Männlich und weiblich. Damit meine ich nicht, es darf nur Mann-Frau-Beziehungen geben. Sondern: Dieses Puzzlespiel männlich und weiblich, das haben wir innendrin, mit allem Schillernden und allen Verschiebungen in die eine wie die andere Richtung: Es gibt so derart männliche Frauen und so derart weibliche Männer. Was aber immer bleibt: Menschsein gibt es nie für sich alleine, nur ich. Nein, mit dem und der anderen. Und mit Gott. Der unser Urbild und Gegenüber ist. Die Struktur der Schöpfung – und des Menschseins ist ein Aufeinander-Bezogensein. Und Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut.

Und zweitens: Eine Entzauberung der Welt.
Das klingt jetzt nicht einleuchtend. Sollte ausgerechnet die Geschichte, die unsere Welt religiös als Gottes Schöpfung ansieht, eine Entzauberung der Welt darstellen? Nicht doch eher umgekehrt, eine Verzauberung? Da muss ich nun etwas weiter ausholen. Fast alle Bibelwissenschaftler sind sich heute einig, diese Geschichte ist entstanden im „Babylonischen Exil“. In der Zeit, als Israel in Babylon war. Mit einer anderen, wohlhabenderen Welt und ihren Deutungserzählungen konfrontiert.

In Babylon, im Zweistromland, erzählte man sich einen Weltentstehungsmythos. Der Stadtgott von Babylon hieß Marduk, das bedeutet: Sohn der Sonne, oder untergehende Sonne. Eine Art Sonnengott also. Marduk habe in der Weltentstehung gewirkt und am Ende gesiegt. Über den Chaosgott und den Gott „Meer“. Die Priester Israels haben nun diesen Marduk-Mythos im Sinne des Glaubens an den Gott Israels neu erzählt. Nicht die Sonne, sondern Gott ordnet das Chaos, sein Geist weht über dem Meer. Chaos und Meer sind keine Götter. Sie sind Chaos und Meer. Gott macht das Licht. Es entsteht eine Welt voller Lebewesen. Die Erde ist keine Göttin, sie ist ein Lebens-Raum. Für Pflanzen und Fische. Vögel und Landtiere. Und den Menschen. Sonne, Mond und Gestirne bestimmen nicht das Schicksal des Menschen, wie in der Astrologie Babylons. Sondern sie beleuchten, wie Lampen, Tag und Nacht. Der Mythos Babylons hat Erde und Kosmos zu Göttern und geheimnisvollen Kräften gemacht. Die Theologen und die Menschen Israels in Babylon denken den Gedanken zuende, dass die Erde … eben Erde ist. Und die Sonne schön, aber kein Gott. Es ist ein neuer Realismus, eine Art Entmythologisierung, Entzauberung. Das finde ich einen sehr spannenden Aspekt der Schöpfungsgeschichte. Der Glaube Israels ist von Anfang an religionskritisch. Die Welt ist nicht eure Schicksalsmacht. Sondern euer Lebensraum. Ihr könnt ihre Zerstörungskraft beherrschen. Und ihr müsst euch in ihr einfinden. Es tut uns gut, die Erde realistisch anzuschauen. Die Natur als Natur zu sehen.

Und drittens und letztens: Die Krone der Schöpfung.
Das waren wir lange gewöhnt, als „Krone der Schöpfung“ den Menschen zu sehen. Der ja schließlich den 6. und letzten Schöpfungstag thematisch beherrscht. Wo steht: Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn …

Aber Krone der Schöpfung? Wir lesen, dass am 7., nicht am 6. Tag alles vollendet wurde. Gottes Ruhetag ist die Krone der Schöpfung. Der Tag, wo sich alles vollendete.

Neulich war ich mit unserem Praktikanten in der Synagoge, im Freitagabendgottesdienst. Da wird gebetet, gelesen und gesungen, bis irgendwann die Stelle kommt, an der sich die ganze Gemeinde umdreht. Also nicht mehr zum Lesepult schaut, sondern zur Tür. Und dann singt man: Lecha dodi, Komm mein Freund, der Braut entgegen, lasst uns den Sabbat begrüßen. Denn durch die Tür tritt nun, unsichtbar, doch für alle klar, die Königin Sabbat ein. Der Tag, an dem Gott die Schöpfung vollendet hatte, und der deshalb auch unsere Woche vollendet: Das Ausruhen und Freisein. Nicht die Arbeit. Was für ein Gedanke! Vollendung erlangen wir in Ruhe und Erholung. Im schöpferischen Durchatmen. Nicht in der Atemlosigkeit von Dauerarbeit und Dauerkonsum. Vielleicht ist der Sabbattag der Tag, an dem wir Gott am ähnlichsten sind. Tag der Menschenwürde.

Was für ein Erfolg: Der 6-plus-1-Wochenrhythmus der Schöpfungsgeschichte, er hat sich so weit auf Erden durchgesetzt, viel weiter, als der jüdische oder christliche Glaube. Die Französische Revolution hat diesen Rhythmus abschaffen wollen, die Woche durch Dekaden ersetzen. Aber es ist nicht gelungen. Es ist einfach menschlicher, nach 6 Tagen auszuruhen, als nach 9. In den 10 Geboten, im 2. Buch Mose lesen wir: Du sollst am Sabbat selbst frei haben, aber auch frei haben lassen all deine Arbeiter und Knechte und Mägde. Denn in sechs Tagen hat der HERR Himmel und Erde gemacht und das Meer und alles, was darinnen ist, und ruhte am siebenten Tage. Darum segnete der HERR den Sabbattag und heiligte ihn.

Aber im 5. Buch Mose lesen wir die Begründung anders: Denn du sollst daran denken, dass auch du Knecht in Ägyptenland warst und der HERR, dein Gott, dich von dort herausgeführt hat mit mächtiger Hand und ausgerecktem Arm. Darum hat dir der HERR, dein Gott, geboten, dass du den Sabbattag halten sollst.

Gottes gute Ordnung ist eine Ordnung der Freiheit und Würde. Nicht der Sklaverei. Bevor der Mensch gearbeitet und gekämpft hat, wird er eingeladen zu Gottes Feiertag. Die Vollendung der Schöpfung und der Anfang des Neuen ist Gottes Ruhe. Gott feiert, was geworden ist, und freut sich daran. Und er lädt uns Menschen ein, vor allem, was kommt, mitzufeiern, sich mitzufreuen, mit dem zufrieden zu sein, was er geschaffen hat. So beginnt unser Weg als Menschen damit, dass wir ruhen. So steht am Anfang nicht das, was wir tun, sondern das, was wir geschenkt bekommen. So fängt unser Leben damit an, dass wir uns mit Gott freuen an seiner Schöpfung, und nicht an uns und unserer Leistung. Denn die Geschichte des Menschen mit Gott beginnt mit einem Feiertag. Sabbatruhe, Sabbatfreiheit, Sabbatfreude, Sabbatfeier: Das ist das Ziel der Schöpfung und zugleich der Anfang von allem, was folgt. So steht ganz am Anfang schon der Ausblick auf das, was kommen wird: das Reich Gottes. Auszug aus aller Sklaverei. Denn Gott, der Schöpfer, ist auch unser Befreier.

Amen.