Über Matthäus 17,1–13 – Dr. Bernd Krebs

Dr. Bernd Krebs

20. Januar 2008

1 Und nach sechs Tagen nahm Jesus mit sich Petrus und Jakobus und Johannes, dessen Bruder, und führte sie allein auf einen hohen Berg. 2 Und er wurde verklärt vor ihnen, und sein Angesicht leuchtete wie die Sonne, und seine Kleider wurden weiß wie das Licht. 3 Und siehe, da erschienen ihnen Mose und Elia; die redeten mit ihm. 4 Petrus aber fing an und sprach zu Jesus: Herr, hier ist gut sein! Willst du, so will ich hier drei Hütten bauen, dir eine, Mose eine und Elia eine. 5 Als er noch so redete, siehe, da überschattete sie eine lichte Wolke. Und siehe, eine Stimme aus der Wolke sprach: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe; den sollt ihr hören! 6 Als das die Jünger hörten, fielen sie auf ihr Angesicht und erschraken sehr. 7 Jesus aber trat zu ihnen, rührte sie an und sprach: Steht auf und fürchtet euch nicht! 8 Als sie aber ihre Augen aufhoben, sahen sie niemand als Jesus allein. 9 Und als sie vom Berge hinabgingen, gebot ihnen Jesus und sprach: Ihr sollt von dieser Erscheinung niemandem sagen, bis der Menschensohn von den Toten auferstanden ist. 10 Und seine Jünger fragten ihn und sprachen: Warum sagen denn die Schriftgelehrten, zuerst müsse Elia kommen? 11 Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Elia soll freilich kommen und alles zurechtbringen. 12 Doch ich sage euch: Elia ist schon gekommen, aber sie haben ihn nicht erkannt, sondern haben mit ihm getan, was sie wollten. So wird auch der Menschensohn durch sie leiden müssen. 13 Da verstanden die Jünger, dass er von Johannes dem Täufer zu ihnen geredet hatte.

Es gibt Einsichten, die wir uns nicht selbst verschaffen können. Sie werden uns plötzlich zuteil. Dann erkennen wir, was uns bis dahin verborgen war. Und oft sagen wir in solchen Augenblicken des unerwarteten Erkennens: „Das mir das jetzt erst bewußt wird! Wieso habe ich das nicht schon früher gesehen? Warum bin ich nur blind gewesen?“ Zum Beispiel: das Verhalten eines Menschen. Lange Zeit war es uns verschlossen – auf einmal erkennen wir, was ihn oder sie die ganze Zeit bewegte. Wir aber sahen es nicht. Oder da lesen wir Jahraus Jahrein über einen Bibeltext hinweg, die Worte klappern uns an wie ein Mühlrad und bewegen nichts. Doch mit einem Mal wird das Gelesene zu einem Wort an uns – ganz persönlich. Ein Schlüsselwort, das uns unsere Lage erhellt. Solches „Schauen“ ist von Gott geschenktes Schauen. Und es gehört zum Wesen solchen geschenkten Erkennens, daß sie einem, zwei oder drei Menschen zuteil wird – und anderen, selbst engsten Weggefährten, „Gleichgesinnten“ verborgen bleibt.

Der Anblick des verwandelten Jesus war  bzw. ist eine solche von Gott geschenkte Schau, ein solches unerwartetes Sehen und Erkennen. Drei Jünger sehen Jesus aus einer ihnen bis dahin nicht gegeben Perspektive. Sie sehen den, der da tagtäglich mit ihnen durch die Lande zieht, in verwandelter Gestalt. Metemorhpotä heißt es hier im Griechischen: umgestaltet, verwandelt, in einer anderen Form. Sie sehen den Auferstandenen und ihnen wird damit erschlossen und aufgeschlossen, was noch aussteht, was noch nicht ist, aber sein wird. Es ist die Perspektive Gottes, in die sie (für einen erhellenden Augenblick) mit hinein genommen werden. Zu dem ihnen von Gott geschenkten Sehen tritt das beglaubigende Wort – das Wort unverbrüchlicher Solidarität. Gott wird seinen Sohn nicht dem Tode preisgeben. Ihn, dem Geliebten und Erwählten, wird zuteil werden, was jetzt noch, im Akt des staunenden Schauens, quer zu allen alltäglichen Erfahrungen steht. Die Auferweckung. Der Sieg des Lebens über den Tod.

Jesus – metemorphotä - in fast allen europäischen Sprachen wird dies dem griechischen Wort entsprechend, wörtlich übersetzt: „verwandelt“. In den Reformationskirchen des deutschen Sprachraum hat jedoch eine andere Übersetzung Geltung erlangt. Jesus wurde „verklärt“, so lautet diese gängige Übersetzung – im Luthertext, wie auch in der alten Zürcher Bibel. Damit ist aber der wesentliche Inhalt dessen, was den Jüngern in diesem von Gott gegeben Schauen, mitgeteilt wird, verflüchtigt und quasi entmaterialisiert. Der Auferweckte, der Auferstandene, den die Jünger sehen dürfen, aber ist kein phosphorisierendes Gespenst – um es salopp zu sagen – sondern der durch Gott Verwandelte. Als „Erster der Entschlafene“ wie Paulus sagt, und damit „Vorbild“ dessen, was an uns geschehen wird. Gottes Schöpfermacht – das ist es, worauf der Blick der Jünger für einen kurzen Augenblick gerichtet ist. Auf dem Weg nach Jerusalem wird ihnen die „Einsicht“ gewährt, dass das Kreuz Jesu nicht das Ende ist bzw. sein wird – nicht der Tod behält das letzte Wort, sondern Gottes Schöpfermacht.

Wenn aber in unserer „westlichen“ Sichtweise durch eine fragwürdige Übersetzung das Wesentliche schon nicht mehr “erkannt“ und begriffen wird, dann nimmt es nicht Wunder, daß sich die neuzeitliche Bibelauslegung hierzulande – fast einhellig – nur damit beschäftigt, nach den  religionsgeschichtlichen Parallelen dieser Geschichte zu fragen und Vergleiche anzustellen; ganz zu schweigen von den Erklärungsversuchen in der Zeit des Rationalismus  – wie die, dass Jesus den Jüngern beim Sonnenaufgang an einem nebligen Frühmorgen begegnete, wobei die Jünger, noch schlaftrunken, nicht alles mitbekommen hätten.

Die altkirchliche Auslegung aber und in ihrer Nachfolge die gesamte ostkirchliche Tradition hat die Geschichte immer als ein Zeugnis von der kommenden Auferstehung, Verwandlung und Neuschöpfung gelesen und gedeutet. Sie hat sich und ihre Zuhörer deshalb immer mit den Jüngern identifiziert, ist mit ihnen auf den Berg und wieder hinunter gewandert. Sie hat das dort Geschehene als Bestärkung ihres Glaubens und ihrer Hoffnung gesehen und begriffen, der einst an der Auferstehung Christi teil zu haben.

Hier zeigt sich ein grundlegender Unterschied im Umgang mit den Überlieferungen der Bibel. Für viele von uns, die wir weithin von der historisch-kritischen Methode geprägt sind, ist Jesus in zwei „Personen“ zerfallen: den „historischen Jesus“ und den „Christus“ wie ihn die Evangelien und die Apostel bezeugen. Zwischen beiden scheint es keine Brücke mehr zu geben. Dem „einen“ kann man sich mit den Mittel der Geschichtswissenschaft annähern. Der „andere“ ist nur im Glauben erkennbar. So lautet die gängige These. Doch je mehr man den „historischen Jesus“ für sich isoliert und vom „Christus“ getrennt aufzuweisen versuchte, um so unklarer, diffuser, beliebiger wurden seine Konturen.

Was einen der führenden neutestamentlichen Exegeten des 20. Jahrhunderts schließlich zu der seufzenden Aussage veranlasste: „Ohne die Verankerung in Gott bleibt die Person Jesu schemenhaft, unwirklich und unerklärlich“ – so Wolfgang Schnackenburg. Oder anders gesagt: das Reden und Handeln Jesu ist nicht ohne das Bekenntnis zu ihm begreifbar, dass er der Christus ist; wie auch umgekehrt, das Bekenntnis, er ist der Christus, nicht ohne sein Reden und Handeln verstehbar ist. Was folgt daraus?

Zunächst: Dass die historisch-kritische Methode (trotz mancher Irrwege, in die sie im Laufe der Zeit geraten ist ) ein unverzichtbarer Teil der exegetischen Arbeit ist und bleiben muss. Denn der christliche Glaube gründet auf einem geschichtlichen Geschehen, das sich in den Zeugnissen und Berichten von Menschen niedergeschlagen hat, die (je zu unterschiedlichen Zeiten und in unterschiedlichen Sprachformen) davon berichteten, dass Gott zu ihnen gesprochen, sie berufen, ihnen Leitlinien für ihr Leben gegeben und an ihnen gehandelt hat. Der Glaube bezieht sich also nicht auf Symbole, auf Mythen, auf „Bilder“ – selbst wenn er sich solcher Formen der Kenntlichmachung seiner Sache und seines Gegenstandes bedient!

Historische Quellen aber sind  als Zeugnisse der Vergangenheit zu lesen und zu deuten, und als solche in die Zeitumstände einzuordnen. Das aber heißt auch: die analysierten Texte müssen in der Vergangenheit belassen werden. Man kann eventuelle Berührungspunkte mit der Gegenwart kenntlich machen (Wir sagen dann: „Das klingt aktuell“). Man kann den „Mehrwert“, der in manchen Überlieferungen steckt, erkennen und auf diesen hinweisen. Natürlich kann in vergangenen Texten die Frage  aufscheinen, wie wir heute leben müssten. Doch um hier sachgemäß reden zu können, bedarf es ergänzender Zugänge zum Text. Wenn die historisch-kritische Exegese begänne, „Anwendungen“ auf die Gegenwart vorzunehmen, überschritte sie die Grenze, die ihr als historische Wissenschaft gegeben ist.

Um es an der Geschichte von der Verwandlung Jesu deutlich zu machen: alle religionsgeschichtlichen Vergleiche mögen für sich genommen spannend und interessant sein. Eines können diese Vergleiche nicht: uns eine Erklärung dafür  geben, warum das hier Beschriebene etwas „Überschüssiges“ besitzt, das mit dem Tod der Beteiligten nicht aufgebraucht war. Wer immer diesen Text von der Verwandlung auf den Berg verfasst haben mag – er (oder sie) spricht nicht einfach aus sich selbst und für sich selbst. Er (oder sie) redet aus einer langen, weit zurückreichenden Geschichte heraus, die trägt und in der zugleich die Möglichkeiten der Zukunft, des weiteren Weges gegenwärtig sind.

Denn jeder der biblischen „Autoren“ ist Teil eines Prozesses des  „Neulesens“ und „Auslegens“ der Zeugnisse von der Begegnung Gottes mit den Menschen. Kein „Autor“ spricht als privates, in sich geschlossenes Subjekt. Er oder sie spricht vielmehr als Teil einer lebendigen Gemeinschaft und einer lebendigen geschichtlichen Bewegung, die nicht er schafft, und auch nicht das Kollektiv, zu dem er (oder sie) gehört.. Hier wirkt vielmehr eine Kraft, die das je einzelne Menschenwort transzendiert und mit anderen Zeugnissen verbindet. Nur so ist es möglich, dass der „innere Mehrwert“ eines Wortes oder eines Textes wie der von der Verwandlung Jesu seinen Augenblick überschreitet, denn das Wort oder der Text sind Teil der Glaubensgeschichte. Auf diesen Zusammenhang hat Joseph Ratzinger in der Einleitung zu seinem lesenswerten Jesus-Buch hingewiesen. Darin ist ihm zuzustimmen. Anderes dagegen bleibt in seinem Buch fragwürdig. Doch das kann hier nicht thematisiert werden

Die moderne Schriftauslegung, die historisch – kritische Wissenschaft, hat eben dies  in den letzten Jahrzehnten herausgearbeitet: dass die Glaubenszeugnisse Israels wie die Glaubenszeugnisse der Weggefährten Jesu nicht isoliert für sich gelesen und ausgelegt werden können! Sie sind Teil eines langen Prozesses, in dessen Verlauf frühere Glaubenszeugnisse neu gelesen, neu verstanden und neu eingeordnet wurden. In diesem Prozess des „Neu – Lesens“, des Weiterlesens, des Ausweitens und Vertiefens entfaltete sich und entfaltet sich bis heute das Wort Gottes, mit allen seinen ihm innewohnenden Möglichkeiten des „Überschüssigen“, der überraschenden Wendungen und der schöpferischen Verwandlung.

Mit dem Abstieg vom Berg begann für die Jünger die Zeit der Anfeindungen, der Ablehnung, des Zweifels. Jetzt mußte sich bewähren, ob sie  etwas von dem Geschauten behalten hatten. Wie wir wissen, taten sie sich sehr schwer damit. Von der Hoffnung ergriffen zu sein, weil Gott einem den Blick geöffnet hat, ist das eine -  diese Hoffnung zu bewahren und zu bewähren, ist ein anderes. Im Garten Getsemani werden eben jene drei Jünger, die mit Jesus auf dem Berg gewesen waren,  den Zeitpunkt verschlafen, da sich ihr Glaube hätte bewähren können. Als man Jesus festgenommen und weggeführt hat, werden sie das Weite suchen, ängstlich, enttäuscht ... und ausgerechnet der, der gleich drei Hütten hatte bauen wollen, Petrus, wird Jesus verraten – wider besseren Wissens, wider des auf dem Berg Geschauten.

Nach menschlicher Logik hätte dieses das Ende aller Beziehungen sein und die Rückkehr der Jünger in das Leben bedeuten müssen, in der sie vor der Begegnung mit Jesus gelebt hatten: als Fischer, als kleine Leute vom Lande, ohne Fürsprecher und einflussreiche Gönner. Dass aber ausgerechnet diese Jünger zum Nukleus einer vielschichtigen, weit verzweigten Gemeinschaft werden sollten, lässt sich schlechterdings nicht damit erklären (wie es ein anderer berühmter Neutestamentler einmal formulierte), dass Jesus „in den Glauben der Jünger hinein auferstanden“ sei. Ein solcher „Auferstehungsglaube“ hätte vielleicht gerade noch die Generation erfasst, die den „historischen Jesus“ gekannt und mit ihm durch die Lande gezogen war, und wäre dann vergessen worden.

Zur historischen Wahrheit aber gehört es, dass den Begegnungen mit Jesus etwas „Überschüssiges“ innegewohnt hat und noch innewohnt und bis heute fortwirkt – sonst säßen wir nicht hier. Es ist die besondere Verbundenheit Jesu mit Gott, die seine Wirkung durch die Jahrtausende ausmacht. Ohne diese besondere „Gottbezogenheit“ oder „Gottverbundenheit“ – wie Rudolf Schnackenburg das genannt hat – wird man Jesus nicht verstehen. Hier ist das „Überschüssige“ begründet, das Menschen seit 2 Jahrtausenden ergreift und beflügelt – bis dass ER wiederkommt und sich allen Menschen zu erkennen geben wird.