Über Lukas 24,1–12 – Matthias Reumann

Matthias Reumann

21. Juli 2013

Liebe Gemeinde!

Ich weiß nicht, wie es in den Ostergottesdiensten in Berlin oder Potsdam ausgesehen hat; ich könnte mir vorstellen, dass der eine oder andere zu spät oder gar nicht erschienen ist, weil er verschlafen hat. In der Osternacht wurden ja in diesem Jahr die Uhren auf die Sommerzeit umgestellt. Wer es versäumt hat, am Vorabend seine Uhr um eine Stunde vorzustellen – oder keine Uhr hat, die das automatisch tut –, der läuft am Ostermorgen der Zeit hinterher, der kommt überall zu spät. Und wer zu spät kommt, … na, Sie wissen schon. Aber irgendwann im Laufe des Tages wird doch jeder gemerkt haben, was die Stunde geschlagen hat. Sich auf die neue Zeit einstellen und seine Uhren umstellen, weil die Uhren jetzt anders gehen.

Die Frauen, die sich am ersten Tag der Woche aufmachen, um zum Grab Jesu zu gehen, sind sehr früh aufgestanden. Sie haben natürlich noch keine Uhren; die brauchen sie auch nicht, sie brechen einfach auf, als sich der erste Silberstreif am Horizont zeigt und die Morgendämmerung anbricht. Der Sabbat – der Ruhetag ist vorbei, jetzt ist die erste Gelegenheit, um Jesus die letzte Ehre zu erweisen. Und doch hat man in dieser ganzen Szene den Eindruck, dass sie zu spät dran sind, dass sie der Zeit hinterherlaufen – wie Menschen, die in unserer Zeit versäumt haben, die Uhren umzustellen, die den Tag beginnen und allmählich merken: Irgendetwas stimmt hier nicht. Hören wir, was Lukas von diesem Sonntagmorgen erzählt:

1 Am ersten Tag der Woche sehr früh kamen die Frauen zum Grab und trugen bei sich die wohlriechenden Öle, die sie bereitet hatten. 2 Sie fanden aber den Stein weggewälzt von dem Grab 3 und gingen hinein und fanden den Leib des Herrn Jesus nicht. 4 Und als sie darüber bekümmert waren, siehe, da traten zu ihnen zwei Männer mit glänzenden Kleidern. 5 Sie aber erschraken und neigten ihr Angesicht zur Erde. Da sprachen die zu ihnen: Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten? 6 Er ist nicht hier, er ist auferstanden. Gedenkt daran, wie er euch gesagt hat, als er noch in Galiläa war: 7 Der Menschensohn muss überantwortet werden in die Hände der Sünder und gekreuzigt werden und am dritten Tage auferstehen. 8 Und sie gedachten an seine Worte. 9 Und sie gingen wieder weg vom Grab und verkündigten das alles den elf Jüngern und den andern allen. 10 Es waren aber Maria von Magdala und Johanna und Maria, des Jakobus Mutter, und die andern mit ihnen; die sagten das den Aposteln. 11 Und es erschienen ihnen diese Worte, als wär's Geschwätz, und sie glaubten ihnen nicht. 12 Petrus aber stand auf und lief zum Grab und bückte sich hinein und sah nur die Leinentücher und ging davon und wunderte sich über das, was geschehen war.

Ist das nicht eine sehr wenig österliche Geschichte? Osterfreude, Osterglaube – Fehlanzeige! Was wir von den Frauen und Männern hören, die mit Jesus unterwegs gewesen sind, ist Trauer, Erschrecken, Nachdenken, Verwunderung, Unglauben. Die Osterbotschaft wird laut: „Er ist auferstanden!“, aber es kommt keine Antwort: „Er ist wahrhaftig auferstanden!“ Wir können nur mutmaßen, ob die Frauen dieser Botschaft eigentlich glauben oder nicht. Ja, Jesus hat so etwas gesagt: „Am dritten Tage auferstehen“ – aber seine Worte scheinen unglaublich weit weg zu sein und sie können sie kaum mit dem zusammenbringen, was sie hier jetzt erleben.

Ich kann es gut verstehen, dass die Frauen nicht spontan in Osterjubel ausbrechen. Erinnern wir uns: Es ist der dritte Tag, nachdem sie Jesus gekreuzigt haben. Sie haben das alles mit angesehen, mit ansehen müssen. Wie er gestorben ist, wie sie seinen Leichnam vom Kreuz genommen haben. Ein angesehenes Mitglied des Hohen Rates – Joseph von Arimathia – hatte sich gegen die Verurteilung Jesu ausgesprochen. Jetzt ließ er ihn in dem Grab bestatten, das er für sich selbst hatte anlegen lassen. Die Frauen sind mitgegangen und haben gesehen, wie Jesus in das Grab gelegt wurde. Zuhause haben sie mit Ölen und Kräutern den Balsam zubereitet, mit dem sie den Leichnam Jesu pflegen wollten – nach dem Sabbat, der jetzt begann.

Jesus ist tot. Das ist die Realität, auf die sie sich eingestellt hatten. Sie haben das mit ihren eigenen Augen gesehen: „Gekreuzigt, gestorben und begraben“. Und jetzt wollen sie dem toten Jesus an diesem Morgen des ersten Tages der Woche die letzte Ehre erweisen. Natürlich suchen den Toten bei den Toten – wo denn sonst? „Am dritten Tage auferstanden von den Toten“ – wie es im Apostolischen Glaubensbekenntnis dann in der übernächsten Zeile heißt – das hatten sie zwar irgendwann einmal aus dem Munde Jesu gehört, sie erinnerten sich daran, aber in dieser Realität konnten sie sich noch nicht zu Hause fühlen. Es ist, wie wenn sie noch in einer anderen Zeit lebten, als wenn sie der Zeit, die Gott bereits eingeläutet hatte, noch hinterher liefen. Osterfreude, Osterglaube, Osterjubel – das liegt jenseits unserer Erzählung, das ist für sie jetzt noch nicht möglich. Nun, es ist ja die erste von drei Ostererzählungen im letzten Kapitel des Lukasevangeliums; es folgen ja noch zwei: Die Geschichte der sogenannten „Emmausjünger“, die dem auferstandenen Jesus auf ihrem Weg begegnen, ohne ihn zunächst zu erkennen. Und die Geschichte, wo Jesus sich dann den Jüngern selbst zu erkennen gibt und damit alle Zweifel überwindet. In diesen Erzählungen sehen wir auch, was den Osterglauben begründet, oder besser gesagt: wer. Es ist der auferstandene Jesus selbst, der ihnen begegnet und den Glauben ihn ihnen weckt, Freude auslöst und dann auch irgendwann auch jubeln lässt.

Aber soweit sind wir noch nicht. In unserer ersten Ostererzählung, da lässt sich Jesus noch nicht blicken, da gibt es keine Begegnung von Angesicht zu Angesicht, da bleibt erst einmal alles rätselhaft. Wenn also für die Frauen und dann auch für die Männer noch gar nicht Ostern geworden ist, wenn die eigentliche Ostergeschichte erst noch kommt – was können wir mit dieser Geschichte anfangen? Was hat sie uns noch zu sagen, wenn wir doch schon kräftig Ostern feiern, also über diese Ungewissheit und diesen Zweifel längst hinaus sind?

Ich denke, dass es eine Ostergeschichte gerade für die Menschen ist, die angesichts der Osterbotschaft zweifeln, die das einfach nicht glauben können. Für die die Realität des Todes ein solches Gewicht hat, dass es für sie darüber hinaus nichts zu glauben und zu hoffen gibt. Also für den ganz normalen Zweifler. Sie hilft uns, dass wir ihren Zweifel ernst nehmen und nicht zu schnell beiseite schieben oder gar verurteilen. Aber sie könnte auch uns helfen – ich meine, dem Zweifler in uns, der immer wieder einmal sein Haupt erhebt, seine Einwände macht und uns daran hindert, hier und heute ganze Sache mit dem auferstandenen Jesus zu machen. „Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten?“ – „Jesus lebt!“ – das ist ja nicht nur ein Slogan, den wir als bekennende Christen vor uns her tragen können; das ist eine Realität, auf die wir uns jeden Tag neu einstellen können und sollen.

Die Frauen und Männer, die mit Jesus unterwegs waren, die jetzt den Karfreitag und Karsamstag hinter sich haben. Die Frauen: Maria Magdalena und die anderen, die wir nicht wirklich kennen. Die Männer: Petrus und die anderen Jünger. Sie haben ihre Begegnung mit Jesus noch vor sich. Was aber haben sie? Woran können sie sich an diesem Ostermorgen festhalten, was können sie glauben, woran zweifeln? Die Botschaft der Engel hören sie: „Er ist auferstanden“, sehen können sie nur: Das leere Grab, und Petrus sieht noch die Leinentücher, in die der Leichnam Jesu gewickelt worden war – und wundert sich. Aber was sagt das leere Grab aus? Sagt es überhaupt etwas aus? Oder ist es nicht einfach eine Leerstelle, die sich so oder so füllen lässt? Mit der Botschaft: „Jesus ist auferstanden!“ oder mit der Vermutung: „Na ja, irgendjemand hat seinen Leichnam woanders hingeschafft“. Petrus wundert sich. Aber weder das leere Grab noch die Botschaft der Engel wecken in ihm den Glauben an die Auferstehung.

Das müssen wir festhalten: Der Zweifel ist angesichts der Osterbotschaft nicht ungewöhnlich oder gar unerhört, sondern schlicht das Normale. Wenn sogar seine Jüngerinnen und Jünger angesichts des leeren Grabes zweifeln, wieviel mehr Menschen, die gar nicht zu Jesus gehören und die zweitausend Jahre von diesem Geschehen entfernt sind? Müssen sie nicht sogar fragen: Ob das Grab überhaupt leer gewesen ist? Ist die Erzählung vom leeren Grab nicht einfach nur – eine Geschichte? Eine Geschichte, die die Christen halt erzählen müssen, um die Auferstehung Jesu zu beweisen?

Nun gibt es natürlich Christen, die genau das versuchen – die Auferstehung Jesu zu beweisen. Oder wenigstens, plausibel zu machen, dass die Ostergeschichten der Bibel sich am besten dadurch erklären lassen, dass Jesus tatsächlich auferstanden ist. Es nicht nur das Wunschdenken der Jünger war, das Jesus in ihren Herzen hat auferstehen lassen. Sie sich nicht durch Halluzinationen dazu hinreißen ließen zu sagen: „Jesus lebt!“ oder ähnliche Theorien, die bestreiten, dass da tatsächlich einer von den Toten zurückgekehrt ist. Es gibt zahlreiche Bücher mit dem Titel „Die Auferstehung Jesu – eine historische Tatsache?“ oder ähnlichen Formulierungen – einige von ihnen sind auch gar nicht so übel. Ich würde sagen, diese Bücher haben einen relativen Wert. Was sie können: Sie können mit guten Argumenten darlegen, dass sich viele Theorien, die die Osterbotschaft mit ganz „natürlichen“ Mitteln erklären, nicht sehr weit reichen. Dass sie nicht erklären können, warum aus dem verschreckten Haufen von Männern und Frauen auf einmal mutige Bekenner werden, deren Botschaft die Welt verändert. Sie können die Wende von Karfreitag zu Ostersonntag und Pfingsten nicht plausibel machen. Diese Wende weist darauf hin, dass da wirklich etwas ganz Außergewöhnliches geschehen sein muss. Diese guten Argumente können zweifelnde Zeitgenossen einen bestimmten Weg führen, sie können intellektuelle Zweifel ernst nehmen und zeigen, dass die Osterbotschaft diesen Zweifeln standhält. Dass man auch als denkender Mensch an die Auferstehung Jesu glauben kann, ohne sich lächerlich zu machen. Und das ist nicht wenig; gerade im Osten Deutschlands, wo ein großer Teil der Menschen meint, sich gar nicht mehr mit dem christlichen Glauben beschäftigen zu müssen: „Der ist doch längst wissenschaftlich widerlegt!“ – meinen sie. Da sind solche Bücher hilfreich, die die Wahrheit des christlichen Glaubens nicht nur behaupten, sondern mit Argumenten für ihn eintreten. Was sie nicht können: Sie können die Wahrheit des christlichen Glaubens nicht beweisen. Keine Diskussion kann einen Menschen mit Argumenten dahin führen, dass er sich geschlagen gibt und sagt: „Du hast mich überzeugt. Jetzt glaube ich auch, dass Jesus auferstanden ist“. Es wäre schön, wenn das möglich wäre, aber es überschätzt – glaube ich – auch die Möglichkeiten unseres Denkens. Denken ist wichtig, es ist wichtig, dass Christen ihren Glauben mit ihrem Denken nachvollziehen und anderen erklären können – ich bin der Letzte, der das bestreiten würde. Aber ich glaube, was Menschen eher überzeugt und viel mehr am christlichen Glauben interessiert, ist das: Wenn ein Christ nicht nur über die Auferstehung Jesu spricht, sondern so lebt, als wäre diese Geschichte tatsächlich wahr! Als wäre dieser Jesus nicht nur eine Figur der Vergangenheit, sondern eine Realität, mit der mein Nachbar rechnet. „Jesus lebt“ – nicht als Slogan, den man glauben muss, sondern als Realität, die man erfahren kann. Wenn mein christlicher Nachbar allen Ernstes sagt, er sei Jesus begegnet – und ich sehe da auch gewisse Spuren in seinem Leben – vielleicht könnte ich ihm ja auch begegnen. Und wir sehen ja auch in den Ostergeschichten des Lukas: Erst eine solche Begegnung führt zum Glauben. Alles andere kann ihn anbahnen, auf diese Begegnung vorbereiten; es ist aber der auferstandene Jesus selbst, der mir den Glauben schenkt – von Angesicht zu Angesicht.

„Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten?“ – Eine Diskussion über die Auferstehung Jesu, ob sie möglich oder unmöglich war, bleibt zwangsläufig in der Vergangenheit. Sie sucht Jesus bei den Toten. Die Herausforderung ist, den Lebenden bei den Lebenden zu suchen und zu finden. In der Gegenwart, in unserer Mitte. Wenn wir ihn hier nicht finden, dann ist auch eine Reise in die Vergangenheit vergeblich. Auch das Lesen der Ostergeschichte oder über sie zu predigen – vergeblich. Das ist nicht nur für Menschen so, die noch nicht an Jesus glauben, die die Begegnung mit ihm noch vor sich haben. Das ist auch für uns wahr, die wir glauben, aber doch immer wieder einmal zweifeln.

Ich rede jetzt nicht von Zweifeln an der Auferstehung Jesu – ob das Grab leer war, ob Jesus wirklich leiblich auferstanden ist, nicht diese Grundfragen des Glaubens, die wir beantworten könnten, indem wir das Apostolische Glaubensbekenntnis zitieren. Das ist wohl nicht unser Problem. Keine intellektuellen Zweifel. Ich meine Zweifel, die mit der Frage der beiden Männer oder Engel zu tun hat: „Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten?“ Zweifel, die kommen, wenn wir Jesus nicht mehr in unserem Leben suchen und finden. Wenn wir ihn nur noch in der Vergangenheit suchen – sei es die Vergangenheit unseres eigenen Lebens, die Erfahrungen, die wir einmal mit ihm gemacht haben, an denen wir hängen, die aber schon etwas zurückliegen. Oder aber in der Vergangenheit, die uns die Evangelien erzählen. Die Jesusgeschichten in der Bibel – sie sind Vergangenheit. Jesus begegnet in ihnen Menschen, die – nun ja – tot sind. Mit denen wir jedenfalls nicht mehr von Angesicht zu Angesicht reden können. Ich sage nicht, dass wir die Bibel deshalb zuschlagen sollen. Aber wir sollten sie in der Erwartung lesen, dass der lebendige Jesus uns dabei über die Schulter sieht und sagt: „Du, was der Petrus da mit mir erlebt hat, wie diese Frau dort heil geworden ist, wie ich diesen jungen Mann dort zur Ordnung gerufen habe – so möchte ich auch dir begegnen. Lässt du dich darauf ein? Suchst du mich auch unter den Lebenden, in deinem Leben, in deinen Umständen, unter den Menschen, mit denen du zu tun hast? Genau dort möchte ich dir begegnen.“

Das leere Grab – es beweist nichts. Die Osterbotschaft der Engel, die die Frauen weitergesagt haben, sie ist leeres Geschwätz. Solange der auferstandene Jesus nicht neben mir steht und er der tägliche Begleiter meines Lebens ist. Aber dann weiß ich: Wenn ich hier und heute mit ihm reden kann, dann wird das Grab wohl wirklich leer gewesen sein. Dann wird die Botschaft der Engel und der Frauen, dass er auferstanden ist, kein leeres Geschwätz gewesen sein: Dann können wir fröhlich antworten: „Er ist wahrhaftig auferstanden.“

Amen.

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