Über Galater 2,16–21 – Dr. Bernd Krebs

Dr. Bernd Krebs

19. August 2012

16 Weil wir aber wissen, dass ein Mensch nicht dadurch gerecht wird, dass er tut, was im Gesetz geschrieben steht, sondern durch den Glauben an Jesus Christus, sind auch wir zum Glauben an Christus Jesus gekommen, damit wir aus dem Glauben an Christus gerecht würden und nicht dadurch, dass wir tun, was im Gesetz geschrieben steht; denn durch das Tun dessen, was im Gesetz geschrieben steht, wird kein Mensch gerecht werden. 17 Wenn wir jedoch im Bestreben, durch Christus gerecht zu werden, nun selbst als Sünder dastehen, ist dann Christus ein Diener der Sünde? Gewiss nicht! 18 Schuldig mache ich mich dann, wenn ich wieder aufrichte, was ich abgerissen habe. 19 Denn dadurch, dass ich den Weg des Gesetzes zu Ende gegangen bin, bin ich für das Gesetz tot. So kann ich fortan für Gott leben. Ich bin mitgekreuzigt mit Christus: 20 Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir; sofern ich jetzt noch im Fleisch lebe, lebe ich im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt und sich für mich hingegeben hat. 21 Ich will die Gnade Gottes nicht außer Kraft setzen. Denn wenn die Gerechtigkeit durch das Gesetz kommt, dann ist Christus umsonst gestorben.

Es gibt biblische Texte, die immer wieder von neuem ausgelegt werden müssen, denn sie zählen zu den „Schlüsseltexten“ der Geschichte der Kirche. Dieser Abschnitt aus dem Galaterbrief ist ein solcher Text. Er ist ein – wie jeder spürt – höchst polemischer Text. Der Apostel Paulus stellt in schroffer Weise einen Gegensatz auf, der für das Selbstverständnis der Kirche von nachhaltiger Bedeutung sein sollte, über Jahrhunderte.

Dem Leben aus dem „Gesetz“, der Tora, stellt Paulus das Leben aus dem Glauben an Jesus Christus gegenüber. Dabei zeigt sich Paulus ziemlich weit entfernt von den weit differenzierteren Betrachtungen, die er später in seinem Brief an die Römer anstellen wird. Warum? Offensichtlich erinnerten ihn die Prediger, die in den Gemeinden Galatien Fuss zu fassen versuchten, an Auffassungen, die er früher einmal auch vertreten hatte. Paulus gehörte damals zur Gruppe der „Eiferer“, den Zeloten, die Israel rein halten wollten von allen heidnischen Einflüssen und auf strenge Gesetzesoberservanz drängten. Deshalb der scharfe Ton.

Eine solche Haltung kennen wir. Sie begegnet uns immer wieder. Mancher könnte aus seinem persönlichen Umfeld oder auch mit Blick auf die eigene Entwicklung berichten, was geschieht, wenn sich jemand aus früher einmal vertretenen Positionen löst und (zum Erstaunen der Weggefährten) Aussagen trifft, die (scheinbar) genau das Gegenteil zum dem ausdrücken, was er oder sie früher einmal vertreten hatte. Dadurch können dann schon mal langjährige Freundschaften oder Beziehungen in einer Familie arg belastet werden oder auseinanderbrechen.

„Konvertiten sind die schlimmsten“ sagen wir dann schnell und tun wahrscheinlich dem, der sich gewandelt hat, mit einem solchen Urteil Unrecht. Leider haben Menschen, die eine radikale Wendung vollzogen haben, tatsächlich oft etwas Eiferndes an sich. So auch Paulus hier im Galaterbrief. Im Bemühen, die Botschaft von der Erwählung der Heiden vor jeder Verunklarung und Vermischung zu schützen, distanziert sich Paulus von Einsichten, die er (an anderer Stelle) durchaus vertreten konnte. Warum? Weil Paulus hier für sich selbst kämpft, seine Wandlung rechtfertigen will. Die galatischen Irrlehrer geben dafür quasi die Folie ab. Sind die Ausführungen des Paulus damit für uns verloren?

Ich will versuchen, das was Paulus hier aussagen will, nachzuzeichnen, indem ich Paulus mit Aussagen konfrontiere, die er an anderen Stellen seiner Briefe gemacht hat. Das ist legitim. Denn wir besitzen ja nicht nur diesen Brief, sondern auch andere Briefe und Zeugnisse. Und um Jemandem gerecht zu werden, sollte man immer die Gesamtheit seiner Aussagen und Verhaltensweisen in den Blick nehmen.

Die Quintessenz seines theologischen Denkens beschreibt Paulus im Brief an die Römer folgendermassen: Niemand kann sich aus eigener Kraft die Zuwendung Gottes erwerben. Nur wenn und indem Gott sich dem Menschen zuwendet, wird der Mensch gerettet und des Heiles teilhaftig, das Gott für ihn bestimmt hat. Gott hat sich Israel zugewandt, im Bund und durch die Gabe der Tora. Diese Zuwendung („Erwählung“) ist nicht aufgehoben. Den Heiden wendet sich Gott in Jesus, dem Messias zu und läßt sie im Glauben seiner Gnade teilhaftig werden.

Im Galaterbrief zieht Paulus diese Linie dann weiter, indem er sagt: alle Versuche, sich auf andere Weise der Zuwendung Gottes zu versichern, ob durch eine strenges, beherztes, eiferndes „Halten“ des Gesetzes/der Gebote oder durch „Versenkung“ in Christus, bringen den Menschen in die Knechtschaft zurück, aus der ihn Gott befreien will.

Wer sich selbst einen Zugang zu Gott schaffen und durch „rechtes Tun“ (Orthopraxie) oder „rechten Glauben“ (Orthodoxie) sichern will, hebt Gottes Werk auf und wirft – wie es hier heißt – die Gnade weg. Nur indem ich die Zuwendung Gottes „im Glauben“, also im bedingungslosen Vertrauen, annehme, werde ich frei („gerecht“). Diese Einsicht aber gilt gleichermassen – für Juden wie Heiden.

Man kann sich diese theologische Grundeinsicht durch eine Analogie aus dem menschlichen Zusammenleben deutlich machen: die Liebe eines Menschen kommt über einen anderen und ergreift diesen, ohne dass er oder sie dazu etwas tun kann. Es bleibt ihm/ihr „nur“ das eine: in Freude und Dankbarkeit diese Liebe anzunehmen. Die Beziehung, die dadurch entsteht, hat immer etwas unverfügbares, unverechenbares, etwas, das sich nicht aufwiegen läßt - obgleich wir immer wieder versucht sind, uns der Zuwendung des Anderen auf vielerlei Art zu versichern. Sobald wir aber damit anfangen, merken wir, dass aus der Beziehung, die auf ungeschuldeter Zuwendung, auf Liebe beruht, eine Beziehung wird, die auf Berechnung, auf Leistung und Gegenleistung gegründet werden soll. Das aber ist der Anfang vom Ende einer Beziehung.

So auch hier: wollte ich Gott in ein Tauschverhältnis zu mir oder mit mir zwingen, würde ich verliere, was ich gewonnen habe. Ich bliebe bei mir selbst, auf mich und meine Ängste,auf meine Zweifel und auf meine Hilflsosigkeit zurückgeworfen. Ich würde wegwerfen, was mir Halt gibt. Paulus kleidet diese Einsicht in das Bild von einer Wandlung, die ich durch Gottes Zuwendung, durch Gottes Gnade erlebe: ich lebe nicht mehr aus mir selbst und auf mich selbst bezogen, sondern aus der Kraft Christi.

Und was wird nun mit den schroffen Verwerfungen am Anfang dieses Abschnittes? Sie sind zunächst einmal biographisch zu deuten. Paulus hat seine alte, vormalige Lebensweise hinter sich gelassen und durch den Glauben an Jesus, den Messias, erkannt: ich lebe aus Gottes Zuspruch und Zuwendung.

Weil diese Erkenntnis aber zugleich die Botschaft ist, die er als Apostel den Heiden bringen muss, lässt er sich davon nichts abhandeln. Aber er vergisst, dass auch für den frommen Juden eben dieses gilt: dass das Leben nicht aus eigener Leistung oder Kraft möglich ist, sondern allein aus der barmherzigen Zuwendung Gottes. Mag sein, dass Paulus in seinem früheren Leben vor lauter Eifer diese Erkenntis verborgen gewesen ist. Das sollte ihn aber vorsichtiger argumentieren lassen gegenüber seinen jüdischen Geschwistern.

Das ist so, wie wenn einer aus unserem Freudeskreis oder aus der Familie seine Ansichten und sein Handeln radikal verändert hat. Es braucht viel Geduld, um mit ihm oder ihr im Gespräch zu bleiben. Man muss die Fähigkeit entwickeln, zwischen den Zeilen zu lesen und das Nichtgesagte, aber doch Gemeinte hinter dem gesprochenen Wort „mitzuhören“ und den „Eiferer“ dadurch vor sich selbst schützen, indem man ihn oder sie nicht auf das festlegt, was er oder sie im Eifer sagt. Das kommt oft einem Drahtseilakt gleich.

In dieser Weise hat es in den letzten zwei Jahrzehnten eine Neuausrichtung in der Deutung der Thelogie des Paulus gegeben. Eine Neuausrichtung, die nicht zuletzt aus dem Erschrecken über die jahrhundertelange Verteufelung und Ausgrenzung jüdischer Theologie durch und in den Kirchen enstanden ist. In der Begegnung mit jüdischen Auslegern und im Hören auf das von ihnen Erarbeitete, haben wir gelernt, die Theologie des Paulus neu einzuordnen. Denn die jüdische Theologie hat sich nach der Zerstörung des Tempels im Jahr 70 und nach der Vertreibung der Mehrheit der Juden aus Jerusalem und aus Judäa im Laufe des frühen 1.Jahrhunderts selbst noch einmal verändert. Dabei kamen Einsichten zum Tragen, die es zur Zeit des Paulus bereits in den jüdischen Gemeinschaften gab. Wer das aber nicht zur Kenntnis nimmt, und „die Juden“ und ihren Glauben nur durch die die Brille des vormaligen Zeloten Paulus sieht, tut unseren jüdischen Geschwistern Unrecht.

Ich sagte zu Beginn: dass es immer wieder nötig ist, die „Schlüsseltexte“, die für die Wendepunkte der Kirchengeschichte von Bedeutung waren, neu auszulegen. Die Kirche muss sich immer wieder von neuem reformieren lassen, sagen wir Reformierte gern - sich also unter Zurücklassen vormaliger Einsichten sich zu einem neuen Hören rufen lässt. Und nun könnten wir diesen Abschnitt aus dem Galaterbrief in einem weiteren Durchgang befragen, auf den Spuren des Reformators Martin Luther, der hier die Grenzlinie gegenüber der spämittelalterlichen Kirche, der „Papstkirche“ sah und dabei zu Urteilen gelangte, die heute auf die Römisch-Katholische Kirche zu beziehen, nicht weniger problematisch wäre ... doch das muss ein anderes Mal geschehen.

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